SPD Hoppegarten/ Neuenhagen

Rede von Roland Klapprodt zur Ausstellungseröffnung 150 Jahre deutsche Sozialdemokratie am 2. März 2013 im Bürgerhaus Ne

Veröffentlicht am 02.03.2013 in Bundespolitik

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

Zunächst möchte ich Euch und dem Bürgermeister zu diesem schönen, freundlichen und einladenden Bürgerhaus gratulieren. Eine Ausstellung 150 Jahre SPD hier zu eröffnen, ist eine Freude.

Das Jahr 2013 ist für die Sozialdemokratie ein geschichtsträchtiges Jahr. Wir können den 100. Geburtstag von Willy Brandt feiern, wir begehen den 100. Todestag von August Bebel und wir gedenken der Machtübernahme durch die Nazis vor 80 Jahren, was mit Verfolgung und viel Leid für die sozialdemokratische Partei verbunden war. Wir gedenken aber auch der mutigen Rede von Otto Wels gegen das Ermächtigungsgesetz. In diesem Jahr wird die deutsche Sozialdemokratie 150 Jahre alt. 150 Jahre sozialdemokratische Geschichte sind 150 Jahre deutsche Geschichte.

Eine alte Volksweisheit sagt: „Wer nicht weiß, woher er kommt, weiß auch nicht, wo er sich befindet und wohin sein Weg führt“.
Mit anderen Worten: Wenn sich gerade Sozialdemokraten mit Geschichte beschäftigen, tun sie dies nicht, um Jahreszahlen auswendig zu lernen unter dem Schulmotto: drei drei drei, bei Issus große Keilerei, sondern wir setzen uns mit Geschichte auseinander, um Lehren aus der Geschichte zu ziehen, Lehren, um Gegenwart meistern und Zukunft gestalten zu können.
Um die Leistungen der sozialdemokratischen Bewegung richtig bewerten zu können, möchte ich dazu einladen, sich auf eine kurze Zeitreise zu begeben. Eine Zeitreise in die Anfangszeit der Arbeiterbewegung.

Deutschland war 1863 in viele kleine Fürstentümer, Königreiche und Grafschaften zergliedert. Nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848 herrschten diese Fürsten mit absoluter Macht.
Diese Ausstellung hätte nicht von einer so sympathischen Vorsitzenden eröffnet werden können, weil Frauen und Jugendliche die politische Betätigung verboten war.

Der junge Bundestagskandidat Olaf Mangold wäre trotz seiner jungen Jahre ein gebeugter alter Mann gewesen. Die Lebenserwartung lag in der Arbeiterschaft bei 45 Jahren. Die ohnehin kaum vorhandene Kindheit endete mit 11 Jahren. Dann begann die harte Arbeit als Tagelöhner, Dienstmädchen oder für Jungen und Mädchen der Fabrikalltag. Ein Fabrikalltag mit 14 bis 16 Stunden von Montag bis Samstag.

Die Mehrheit von uns hätte die Sorge umgetrieben, wie man einigermaßen ohne Hunger und einigermaßen warm in feuchten Wohnlöchern über den Winter kommt. Die meisten Famlien hatten nur einen Raum zur Verfügung.

Und noch schlimmer, wenn man krank wurde, war das große Problem, wie die Familie über die Runden zu bringen ist. An einen Arztbesuch war nicht zu denken, eine Krankenversicherung gab es nicht. Eine Katastrophe war es, wenn man einen Arbeitsunfall hatte oder ganz und gar arbeitsunfähig wurde. Es gab keinerlei Absicherung für solche tragischen Fälle. Man war auf Almosen angewiesen.

Wenn es dem Unternehmer oder Großgrundbesitzer gefiel, konnten wir von einem auf den anderen Tag gefeuert werden. Kündigungsschutz war ein Fremdwort. Schulbildung war, wenn man Glück hatte, das Erlernen von Grundrechenarten und ein bisschen Lesen und Schreiben. An eine höhere Bildung oder gar an ein Studium war für Arbeiterkinder nicht zu denken.

Der Gesundheitszustand gerade bei Kindern und Jugendlichen war so katastrophal, dass sich das Militär nach der Reichsgründung 1871 bei Bismarck beschwerte, dass die männlichen Jugendlichen aus der Arbeiterschaft nicht brauchbar seien, weil ihre körperliche Verfassung zu schlecht sei. Diese Intervention des Militärs war es und nicht die Mitmenschlichkeit, die zu einer Erhöhung des Eintrittsalters für Fabrikarbeit auf 13 Jahre führte.

Die Beseitigung dieser Missstände, die allmähliche Verbesserung der Lebensumstände verdanken wir, die heutigen Generationen, den Frauen und Männern, die sich trotz Repression und Unterdrückung in der Sozialdemokratie und der Gewerkschaftsbewegung organisiert haben.

Denn – und das ist die erste Erkenntnis und Lehre aus der Geschichte: Die Abschaffung der Kinderarbeit, die Einführung einer Kranken- und Rentenversicherung, der Kündigungsschutz, dies alles ist nicht vom Himmel gefallen oder uns geschenkt worden.
Alles musste erstritten, erstreikt und erkämpft werden.
Dies ging nur mit und durch eine von Menschen getragene Organisation. Nur organisiert konnte sozialer Fortschritt durchgesetzt werden.

Deshalb, hüten wir uns vor vermeintlich klugen Leuten, die die Organisierung als altmodisch und nicht mehr zeitgemäß diffamieren.

Elendserfahrung allein aber führt niemals zu befreiendem politischem Handeln.
Im Gegenteil, Existenzangst und Elendserfahrung führt zu Duckmäusertum, Angepasstheit und oftmals zur Unterdrückung und Diffamierung noch Schwächerer in der Gesellschaft.

Deshalb lautet die zweite Erkenntnis und Lehre aus der Geschichte: Die Sozialdemokratie war auch immer Bildungsbewegung oder wie der Weggefährte von August Bebel, Wilhelm Liebknecht es formulierte: „Wissen ist Macht!“
Liest man die sehr lesenswerten frühen Arbeiterautobiographien, z.B. die Lebensgeschichte von Adelheid Popp, so lernt man die Bedeutung von Lesen und Bildung kennen. Nur dadurch konnte man zu der Erkenntnis kommen, dass es kein Gott gegebenes Oben und Unten gibt und dass man Macht- und Herrschaftstrukturen verändern kann.

Nicht allein die schlechten, menschenverachtenden Lebens- und Arbeitsverhältnisse führten dazu, sich der Sozialdemokratie anzuschließen, sondern es musste Bildung und das Wissen dazu kommen, dass Zustände, anders als von der Kanzel damals gepredigt, veränderbar sind.

Und damit komme ich zur dritten Erkenntnis und Lehre aus der Geschichte: Ohne eine über den Tag hinaus gehende Vorstellung, wie Leben und Arbeit aussehen kann, gibt es keinen Fortschritt. Deshalb die dritte Erkenntnis: Die Notwendigkeit, eine Vision- und Zielvorstellung zu haben.

Pragmatismus, Bodenständigkeit und Vision schließen sich nicht aus – im Gegenteil: Für alle Ebenen des gesellschaftlichen und politischen Engagements gilt: Pragmatismus ohne Vision führt in eine Sackgasse und Vision ohne politisches Handeln, ohne Bezug zur Realität verkommt zur Spinnerei.

Die Vierte Erkenntnis und Lehre aus der Geschichte lautet: Die Sozialdemokratie war von Anbeginn an
Selbstorganisation und freiwilliger Zusammenschluss
Gesinnungsgemeinschaft
eine am Gemeinwohl orientierte Interessenorganisation
Bildungseinrichtung und
Schutzmacht der kleinen Leute

Will sie dies bleiben, so muss die Sozialdemokratie diese Kriterien erfüllen und ausfüllen.
Diese Grundprinzipien sind nicht gegeneinander ausspielbar. Wir haben bitter in der Geschichte erfahren, auch in der jüngsten Geschichte, ich erinnere an 2009, was passiert, wenn diese Grundprinzipien nicht mehr beachtet werden, wenn z.B. die SPD nicht mehr als Schutzmacht der kleinen Leute angesehen wird.
Was soll ein Facharbeiter, ein Angestellter von „seiner“ Sozialdemokratie halten, wenn er unverschuldet arbeitslos wird und nach einem Jahr behandelt wird wie der Balalaikaspieler auf dem Kurfürstendamm, der noch nie in die Sozialkassen eingezahlt hat.
Eine solche Behandlung geht an das Selbstwertgefühl. Deshalb möchte ich diesen Grundprinzipien den alten Grundsatz hinzufügen: die Achtung und der Respekt vor den arbeitenden Menschen.

Ich bin der festen Überzeugung, wenn diese Grundprinzipien, das Wissen um die Geschichte der Sozialdemokratie und der Respekt vor der Leistung der arbeitenden Menschen mehr Beachtung gefunden hätte, wäre es nicht zu Fehlentwicklungen im Rahmen der Agenda 2010 gekommen.

Es gibt keine endgültige Existenzgarantie für Sozialdemokratie. Ein Blick in andere Länder zeigt das. Negative Beispiele für den Untergang von Sozialdemokratien sind die 60er Jahre in Frankreich, wo erst die Neugründung der sozialistischen Partei in den siebziger Jahren wieder Erfolge brachte. Oder das faktische Verschwinden der sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien in Italien, in Griechenland oder die Situation der Arbeiterpartei in Israel. Es gibt übrigens kein Land, dass so geprägt ist durch die Arbeiterbewegung wie Israel und trotzdem spielt die Arbeiterpartei hier keine Rolle mehr.

Die Existenzberechtigung muss immer wieder aufs Neue erarbeitet werden.
Hätte ich zum 130jährigen Bestehen bei Euch gesprochen, so wäre es aus damaliger Sicht richtig gewesen zu sagen, diese von den Gründungsvätern und Gründungsmüttern erkämpften sozialen Rechte sind heute gesichert.
Das kann man heute, 150 Jahre nach Gründung der Arbeiterbewegung leider nicht mehr sagen. Die Klassengesellschaft, die Einteilung in oben und unten in arm und reich hat sich verfestigt.
Die Gesellschaft ist wieder undurchlässiger geworden. Der Anteil der Arbeiterkinder und Kindern von Angestellten an der höheren Bildung oder gar Universitäten ist wieder drastisch zurückgegangen.

Unsere Eltern konnten mit Recht sagen: Unseren Kindern wird es einmal besser gehen. Kann das die heutige Elterngeneration mit der gleichen Überzeugung heute auch sagen?
Während meine Generation sich keinerlei Gedanken in unserer Jugend über die spätere Rente und Altersversorgung machte und machen musste, geht heute bei jungen Menschen die Angst um oder Angst ist in Zynismus umgeschlagen.

Das Gleiche trifft auf das Gesundheitswesen zu. Deutschland hat immer noch ein hoch entwickeltes und gutes Gesundheitssystem und doch auch hier hält die Klassenmedizin wieder Einzug in Krankenhäuser und Wartezimmer.
Die Zunahme prekärer Beschäftigung und Niedriglöhnen, die Ausweitung nicht tarifgebundener Bezahlung gefährdet den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft.
Fast drei Millionen Fachkräfte sind trotz guter Ausbildung und trotz Berufsabschluss im Billiglohnsektor beschäftigt. Dies drückt insgesamt das Lohnniveau. Und ich sage Euch, dies ist auch so gewollt. Immer mehr Menschen müssen trotz Vollzeitbeschäftigung ergänzende Sozialhilfe beantragen, weil sie Armutslöhne bekommen und mit diesen sich und ihre Familien nicht über die Runden bringen können.
Da werden Krokodilstränen seitens der Bundesregierung vergossen, weil Deutschland zu wenige Kinder habe, gleichzeitig gibt man jungen Leuten keine planbare Lebensperspektive und beutet sie in Praktikumsverhältnissen aus und speist sie mit befristeten Arbeitsverhältnissen ab. In vielen Betrieben liegt die Anzahl von Leiharbeitern und prekär Beschäftigten höher als die regulär und sozial versicherten Jobs. Wie, so ist zu fragen, sollten da junge Menschen optimistisch sich eine Familienperspektive aufbauen und entwickeln.

Die Vermögensverteilung in Deutschland erinnert eher an das Kaiserreich als an eine entwickelte soziale Demokratie. Gegen all diese Missstände tut diese Bundesregierung nichts.

Der Kaiser nannte uns Sozialdemokraten bei der Durchsetzung des Sozialistengesetzes vaterlandslose Gesellen. Die wirklich vaterlandslosen Gesellen sind die, die ihr Millionenvermögen ins Ausland schaffen und sich ihrer Verantwortung für dieses Land entziehen. Die sind mit schuld, wenn Straßen nicht repariert, Schulen nicht mehr saniert werden und zu wenig Betreuungsplätze für Kinder da sind.

Meine Damen und Herren, liebe Freunde, Genossinnen und Genossen,
es gilt die Menschen und nicht die Profitinteressen zum Maßstab politischen Handelns zu machen.
Der Neoliberalismus hat es geschafft, über Jahrzehnte hinweg eine solche Zielformulierung der Mensch als Maßstab politischen Handelns als antiquiert, altmodisch und nicht mehr zeitgemäß zu diffamieren. Staatliche Daseinsvorsorge wurde verächtlich gemacht (Prof. Sinn, Privatisierung des Rentensystems). Diese Ideologie hat sich auch leider in zu viele Hirne von SPD-Mitgliedern reingefressen. Auch wir haben es zugelassen, die SPD hat ideologisch über viele Jahre hinweg nicht selbstbewusst diesen neoliberalen Zeitgeist etwas entgegengesetzt.

Ich möchte ein konkretes Beispiel dafür nennen. In einem Landkreis – der Name tut hier nichts zur Sache – wurde mit den Stimmen der sozialdemokratischen Kreistagsfraktion die Müllabfuhr privatisiert. Der Erlös aus dieser Privatisierung betrug 8000 Euro. Nun ist, da die Kolleginnen und Kollegen nicht mehr Tariflohn beziehen, ergänzende Sozialhilfe notwendig geworden. Diese beträgt 12.000 Euro. Hier wird deutlich, wie absurd Privatisierung, wie absurd die neoliberale Ideologie ist und wie menschenfeindlich ihre Resultate sind.

Deshalb gilt: Immer dann, wenn wir uns im praktischen tagespolitischen Handeln von unseren Grundwerten Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität und unseren Grundprinzipien, Schutzmacht für die Menschen zu sein und die Achtung vor den arbeitenden Menschen zu bewahren entfernt haben, ging es der SPD und den Menschen in diesem Land schlechter. Deshalb gilt: Unsere Grundwerte und Organisationsprinzipien haben seit 1863 nichts an Aktualität eingebüßt. Die Grundwerte und Grundüberzeugungen sind Maßstab, nur ihre Achtung, ihr Einfließen in politisches, tagespolitisches Handeln gibt uns eine Zukunft.

Sie müssen und sie werden Leitmotiv für unser Wahl- und Regierungsprogramm 2013 sein.
Es geht 2013 um nichts weniger als um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Nur durch Gerechtigkeit und faire Teilhabe an den erarbeiteten Reichtümern wird Demokratie von den Menschen auch getragen und als richtig und die richtige Gesellschaftsform empfunden. Nur so kann Demokratie gesichert werden.

Gelebte Demokratie braucht aktive Demokraten. Mein Dank gilt deshalb all denen, die ehrenamtlich, ob in Sozialverbänden, in der Altenpflege, in den Gewerkschaften, im Sportverein oder in der Jugendarbeit, im Gemeinderat oder Bürgerausschüssen oder in anderen Vereinen für das Gemeinwesen aktiv sind.

Ihr Beitrag für eine lebendige Demokratie und den Zusammenhalt der Gesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Die deutsche Sozialdemokratie musste niemals ihren Namen ändern. Sie ist niemals vor Diktatur, Unterdrückung und Repression eingeknickt. Sie hat Verfolgung erlebt und Tausende sind für ihre Überzeugung ermordet worden.
Sie hat aus rechtlosen Proletariern gleichberechtigte Bürger gemacht. Sie hat soziale Demokratie in diesem Land erst möglich gemacht. Deshalb: Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten können zu Recht stolz auf ihre Geschichte sein.

Für Verzagtheit gibt es keinen Grund. In diesem Sinne bedanke ich mich bei Marianne Hitzges und ihren Mitstreitern für die Organisation dieser Ausstellung und wünsche allen Anwesenden gute Gespräche und einen interessanten Ausstellungsbesuch mit vielen neuen Einsichten.

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